- Wirtschaftsnobelpreis 1978: Herbert Alexander Simon
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Dem amerikanische Sozialwissenschaftler Herbert Alexander Simon wurde der Nobelpreis für die »Erforschung von Entscheidungsfindungsprozessen in wirtschaftlichen Organisationen« verliehen.Herbert Alexander Simon, * Milwaukee (Wisconsin) 15. 6. 1916; ✝ 9. 2. 2001 Pittsburgh (Pennsylvania); Studium der Sozialwissenschaften und Mathematik an der Universität Chicago, 1939-42 Leiter einer Forschungsgruppe an der University of California in Berkeley, 1943 Doktor der Philosophie, 1942-49 Professor am Illinois Institute of Technology in Chicago, 1949-65 Professor für Politikwissenschaften an der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh, ab 1965 dort Professor für Informatik und Psychologie.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie klassische Konzeption des Homo Oeconomicus beziehungsweise die Theorie der Entscheidungen unter Sicherheit geht davon aus, dass ein rational handelndes Wirtschaftssubjekt in Entscheidungssituationen vollständig informiert ist, also alle zur Auswahl stehenden Alternativen und deren Konsequenzen bekannt sind. Zudem beruhen traditionelle Wirtschaftsstudien auf der Annahme einfacher, zielgerichteter Entscheidungen: Unternehmen streben nach Gewinn- und Haushalte nach Nutzenmaximierung. Entgegen der neoklassischen Theorie mit ihrer Annahme allwissender, rationaler und gewinnmaximierender Unternehmer hat man es in realen wirtschaftlichen Organisationen mit einer Gruppe kooperierender Entscheidungsträger zu tun, die über begrenzte Kapazitäten in ihrer Informationsverarbeitung verfügen. Zum einen können sie nicht alle Konsequenzen ihrer Entscheidungen abschätzen, zum anderen unterliegen sie persönlichen und sozialen Bindungen.Struktur und Entscheidungsfindung in UnternehmenIn der neoklassischen Theorie diente die Annahme der Gewinnmaximierung als Grundlage für die Analyse des Marktverhaltens. Simon stellte fest, dass mit zunehmender Unternehmensgröße, der damit häufig verbundenen Trennung zwischen Management und Eigentümern und der Bildung von Gewerkschaften die Betrachtung des Verhaltens von Organisationen in den Mittelpunkt rückt. Daneben zwingt der Übergang von einem reinen Preiswettbewerb unter einer Vielzahl von Anbietern zu einer Qualitäts- und Dienstleistungskonkurrenz unter einer oligopolistischen Markform zur Analyse der Struktur und des Entscheidungsfindungsprozesses im Unternehmen. In seinem Buch »Administrative Behavior« (1947) beschreibt Simon ein Unternehmen als adaptives System, bestehend aus physischen, persönlichen und sozialen Bindungen, das durch ein Kommunikationsnetz, den Willen zur Kooperation und das Verfolgen eines gemeinsamen Ziels aufrecht erhalten wird. Im Management eines Großunternehmens ist es unmöglich, alle notwendigen Informationen auszuwerten, um dann die gewinnmaximierende Alternative auszuwählen. Vielmehr wird der Entscheidungsfindungsprozess beendet, wenn eine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde. Die Entscheidungsträger können innerhalb eines Zielrahmens lediglich Lösungen für akute Probleme treffen, es muss also innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Vielzahl konkurrierender Ziele verfolgt werden. Dabei versucht jeder Entscheidungsträger unter Berücksichtigung der Lösungsansätze anderer Organisationsmitglieder befriedigende Alternativen für seine Probleme zu finden. Die Theorien der betrieblichen Entscheidungsfindung auf der Grundlage befriedigender Informationen berücksichtigen, dass Unternehmen und Individuen nicht wissen können, was ihren Gewinn beziehungsweise Nutzen letztlich maximiert. Deshalb führte diese neue Betrachtungsweise auch zur Analyse von Fehlentscheidungen in Konzernen und erlangte große Bedeutung in der Ausbildung von Führungskräften.Die Entscheidungstheorien von Simon sind zwar spezifischer und dementsprechend nicht so universell anwendbar wie die neoklassische Prämisse der Gewinnmaximierung, sie erleichtern jedoch das Verständnis für und die Einschätzung einer Vielzahl betriebswirtschaftlicher Probleme. So dienen sie zur Erklärung der Informationsbeschaffung und -verbreitung und der Entscheidungsfindung in Unternehmen, der Marktanpassung bei Wettbewerbsbeschränkungen sowie der Auswahl von Wertpapierportfolios oder von Ländern für Auslandsinvestitionen. Sie finden sich wieder in integrierten Ziel-, Planungs- und Kontrollsystemen, so genannten Planning, Budgeting and Control Systems, wie sie in der modernen Wirtschaftswelt und in staatlichen Einrichtungen zur Anwendung kommen.Pioniere der ComputersimulationAb 1949 arbeitete Simon an der Fakultät für Psychologie und Politikwissenschaften der Carnegie Mellon-University in Pittsburgh mit am Aufbau einer neuen Hochschule für Industriewirtschaft. Ziel war es, die betriebswirtschaftliche Ausbildung wegzuführen von technischen Lehrinhalten und stattdessen ein Grundgerüst aus Fallstudien der Ökonomie und Verhaltensforschung zu vermitteln. Zusammen mit Charles Holt, Franco Modigliani (Nobelpreis 1985) und John Muth arbeitete Simon ferner an der Entwicklung dynamischer Programmiertechniken. Mittels so genannter linearer Entscheidungsregeln können unter gewissen Voraussetzungen insbesondere für die Produktions-, Beschäftigungs- und Bestandsplanung optimale Entscheidungen abgeleitet werden.Ende der 1940er-Jahre wurde mit der Entwicklung der ersten elektronischen Rechnersysteme der Grundstein für weitere Forschungen im Bereich der Computersimulation gelegt. Mit seinen Kollegen Alan Newell und Clifford Shaw entwickelte Simon zwischen 1957 und 1959 das Computerprogramm GPS (General Problem Solver), das Entscheidungsprozesse bei der Lösung von spezifischen Problemen nachahmte. Bei dem Versuch, das System zu verallgemeinern und mit realen Problemen zu konfrontieren, wurden jedoch dessen Grenzen deutlich. So blieben die Erfolge in den 1960er-Jahren auf logische und geschlossene Bereiche wie das Schachspiel beschränkt.Durch die Ernennung zum Richard-King-Mellon-Professor im Jahr 1965 wurde Simon vom laufenden Lehrbetrieb entbunden und konnte sich mehr seinem zentralen Forschungsinteresse, der Konstruktion eines informationsverarbeitenden Systems mit künstlicher Intelligenz zur Simulation von Entscheidungsprozessen, widmen.Die Leistungen von Simon gehen weit über die Bereiche der Politikwissenschaft, Psychologie und Computerwissenschaft hinaus. Das Studium der Sozialwissenschaften und Selbststudien in fortgeschrittener Mathematik, höherer Physik, symbolischer Logik und mathematischer Statistik bilden den Ausgangspunkt für sein breit gefächertes Wissen. Die Erkenntnis über menschliche Entscheidungsfindungen und ihre Anwendung auf soziale Institutionen war sein übergreifendes Forschungsziel. Darüber hinaus hat er Regierungen, Unternehmen und Organisationen in aller Welt beraten und für seine Arbeiten zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen sowie 24 Ehrendoktortitel erhalten. Seine Bücher »Models of Bounded Rationality« und »Sciences of the Artificial« über die künstliche Computerintelligenz gelten als Klassiker in ihren jeweiligen Disziplinen.R. Füss, G. Vorsatz
Universal-Lexikon. 2012.